Anhand einer „Union“ Taschenuhr, die vor kurzem auf meinen Werktisch kam, will ich dieses Mal beschreiben, was alles bei einer Revision oder Überholung eines Uhrwerkes geschieht. Es soll ja immer noch Zeitgenossen geben, die meinen eine Uhr würde mit Druckluft ausgeblasen und dann funktioniere wieder alles.
Zuerst eine kurze Beschreibung der Taschenuhr:
Es handelt sich um eine goldene “ Savonette“ Taschenuhr, also eine Uhr mit Sprungdeckel. Im Gehäuse befindet sich ein hochwertiges Uhrwerk. Die bimetallische Unruhe ist aufgeschnitten. Bei Erwärmung bewegen sich die freien Enden etwas nach innen. Dadurch wird der Nachgang kompensiert, der sich sonst durch das Ausdehnen des Unruhreifes und das “ Weicher werden“ der Spirale ergäbe. Die Unruhe ist mit einer „aufgebogenen“ Spirale ausgestattet. Der äußere Umgang liegt nicht in der gleichen Ebene der anderen Spiralwindungen und besitzt eine besondere Endkurve. Die aufgebogenen Spiralen, auch nach dem Erfinder „Breguet Spirale“ genannt, tragen zu einem gleichmäßigeren Gangergebnis (Isochronismus) bei unterschiedlichen Schwingungsweiten (Amplituden) der Unruhe bei. Ferner besitzt der Gangregler eine Feinregulierung. Der Glashütter Ankergang dieses Uhrwerks ist dem Schweizer Ankergang sehr ähnlich, wurde aber in einigen Details verbessert.
Das Zerlegen der Uhr:
Um das Uhrwerk zu reinigen, muss es natürlich zerlegt werden. Nach dem Ausschalen des Uhrwerkes, also dem Ausbauen aus dem Gehäuse wird die Aufzugwelle mit Krone wieder eingesetzt. Dann werden Zeiger und Zifferblatt abgenommen, um sie nicht zu beschädigen. Jetzt kann das Werk, mit der Zifferblattseite nach unten, auf einen Setzring gelegt werden.
Der nächste Schritt ist das Abspannen der Zugfeder, damit kein Unheil entsteht wenn später die Platinenschrauben gelöst und die Räderwerkbrücken abgenommen werden. Ideal wären für diese Arbeit drei Hände, denn eine müsste das Uhrwerk halten, während die andere mit einer Pinzette den Sperrkegel zur Seite drückt und die dritte lässt dann die Aufzugkrone langsam zwischen den Fingern drehen, bis die Feder gänzlich kraftlos ist.
Danach kann das Uhrwerk zerlegt werden. Begonnen wird mit den empfindlichen Teilen, also der Hemmung. Die Zapfen, Radzähne und Triebe werden mit der Lupe betrachtet ob sie tadellos sind. Vor allem Radzapfen laufen gerne ein, wenn die Uhr noch lange mit trockenem Öl in Betrieb gehalten werden. Trockenes Öl und mikroskopisch feiner Metallabrieb verwandeln ein Schmiermittel in ein Schleifmittel. Die Abnützung schreitet immer schneller voran. Ist der Zapfen nur ein bisschen rau, kann er bei der Reparatur leicht nachgeschliffen und poliert werden. Schlimm ist es, wenn ein Lagerzapfen so weit abgelaufen ist, dass er fast abbricht.
(Dies geschieht oft bei Uhren, die erst dann zur Revision gebracht werden wenn sie absolut nicht mehr laufen.)
Räder und Triebe waren bei dieser Uhr in gutem Zustand, so dass hier nichts weiter unternommen werden musste.
Die Feder:
Als allerdings die Zugfeder aus Ihrem Gehäuse (Federhaus) genommen wird, macht sie einen sehr müden Eindruck. Gemeint ist natürlich damit, dass sie keine rechte Kraft mehr liefern kann. Eng zusammengewunden liegt sie auf dem Werktisch, fast schon so wie im „aufgezogenen“ Zustand. Daneben habe ich eine neue Feder gleicher Länge, Stärke und Dicke gelegt, um den Unterschied anschaulich zu machen. Moderne Zugfedern besitzen im spannungsfreien Zustand sogar eine „S“ Form. Das Ende der Feder windet sich gegensätzlich zum Federkern. Diese Form gewährleistet einen kontinuierlicheren Kraftverlauf der Feder, was bedeutet, dass der Drehmoment-Unterschied zwischen „leicht aufgezogen“ und „ganz aufgezogen“ nicht so groß ist. Diese besondere Form der Kurve ist nur mit modernen Legierungen (Nivaflex) zu realisieren. Auf jeden Fall muss die alte Zugfeder ausgewechselt werden, sie liefert nicht mehr genügend Energie!
Die Einzelteile:
Vor uns liegt die zerlegte Uhr. Im linken Schälchen das Zifferblatt, die Grundplatine, die Räderwerkbrücke und die Lünette mit dem dünnen Mineralglas. Im rechten Schälchen (im Uhrzeigersinn) die Aufzugkrone mit Teilen der Zeigerstellung, die Räder mit Anker und zugehörigen Klobenschrauben, Teile vom Gesperr, der Unruhekloben mit abgeschraubten Deckplättchen und Unruhe, das Federhaus mit Federkern und Malteserkreuz-Stellung und in der Mitte liegen die Zeiger mit Stunden- und Wechselrad, Werkhalteschrauben und Zifferblattschrauben.
Die Reinigung:
Um das Uhrwerk vom verharzten Öl, aber auch von Staub und Schmutz zu befreien, muss es jetzt gereinigt werden. Dazu kommen die Einzelteile in ein Draht-Körbchen mit mehreren Fächern. Die Unruhe wird ganz alleine in eine Abteilung gelegt, damit die Spirale und die feinen Zapfen ja keinen Schaden nehmen kann. Wussten Sie, dass Unruhzapfen dünner als ein menschliches Haar sein können? Jetzt wird das Draht-Körbchen in eine Maschine gehängt, die den Behälter in der wasserfreien Reinigungslösung bewegt. Nach der Reinigung kommen die Uhr-Teile in eine leicht verdunstende Spüllösung, um das Reinigungsmittel wieder abzuspülen.
Die Malteserkreuz- Stellung:
Jetzt kann das Uhrwerk wieder zusammengesetzt werden. Zuerst das Räderwerk. In das Federhaus kommt die neue Zugfeder. Nachdem die Feder im „Haus“ ist, wird der Federhausdeckel vorsichtig aufgedrückt, bis er einrastet. Die Durchführungen des Federkernes durch das Federhaus werden sofort geölt, da später diese Stellen nicht mehr zugänglich sind. Auf dem Federhaus befindet sich eine sogenannte Maltesterkreuz Stellung. Sie dient einerseits dazu, dass die Feder nicht ganz aufgezogen werden kann. Andererseits kann sich die Feder auch nicht ganz entspannen. Mit Hilfe des Malteserkreuzes wird der ungünstigste Teil der Federkraft, nämlich der stärkste (wenn die Feder ganz aufgezogen ist) und der schwächste (wenn die Feder fast abgelaufen ist), ausgeschaltet. Durch diese Vorrichtung wird die Gangleistung des Uhrwerkes genauer!
Nach dem Montieren der Malteserkreuz-Stellung wird die Räderwerk-Brücke über die Räder gelegt und die Zapfen der Räder vorsichtig in die Lager geführt. Ein kurzes Anstoßen des Federhauses zeigt an, dass sich keines der Zahnräder irgendwo verhängt hat. Erst jetzt wird die Brücke fest aufgedrückt und mit den dazugehörigen Schrauben befestigt.
Die Kontrolle:
Jetzt wird noch mal das Räderwerk geprüft. Wenn man ganz leicht das Federhaus mit der Pinzette anstößt, muss sich das Ankerrad flott drehen. Die Lager der Räder und des Federhauses werden jetzt geölt. Als nächstes kommen das Sperrrad und die Räder und Hebel für die Zeigerstellung an ihren Platz.
Bei dieser Uhr werden die Zeiger noch nicht durch das Ziehen der Krone verstellt. Es muss ein kleiner Hebel (hier unter dem Sprungdeckel) in der Nähe der „1“ gezogen werden. Dann können, durch einfaches Drehen der Krone, die Zeiger verstellt werden. Eine Besonderheit hat diese Taschenuhr aufzuweisen. Beim Schließen des Sprungdeckels wird dieser Zeigerstellhebel automatisch wieder in seine Ruheposition gedrückt.
Da nun Aufzug und Zeigerstellmechanismus montiert sind, wird das Federhaus ganz leicht, maximal eine Umdrehung aufgezogen. Der Anker, der das Räderwerk normalerweise am freien Ablauf hindert, ist ja noch immer nicht eingebaut. Das Ankerrad muss gleichmäßig ablaufen und langsam auslaufen, es darf nicht abrupt stehen bleiben.
Die Hemmung:
Als Erstes bekommen die Hebeflächen der Ankerpaletten einen kleinen Tropfen Gangöl, das ist das feinste und dünnflüssigste Öl mit der geringsten Viskosität. Nachdem der Anker vorsichtig in Position gebracht wurde und mit dem Anker-Kloben fixiert ist, wird das Räderwerk wieder leicht aufgezogen und der Anker mit der Pinzette hin und her bewegt. Damit wird gewährleistet, dass sich das Gangöl gleichmäßig an den Reibeflächen des Ankerrades verteilt und nicht anderswo abläuft. Außerdem wird dabei auch geprüft, ob der Anker richtig mit dem Ankerrad zusammenarbeitet. Es könnte sich ja eine Ankerplatte verschoben haben, oder der Anker durch Stoß oder frühere Pfuscherei verbogen sein.
Nun kommt das Herz der Uhr an die Reihe: Die Unruhe. Vorsichtig werden ihre Zapfen in Holundermark gedrückt, damit sie metallisch blank sind. Dann kommt wieder ein kleiner Tropfen Gangöl auf die Decksteine der Unruhe, die anschließend auf die Grundplatine und auf dem Unruhkloben verschraubt werden. (Zum Reinigen wurden sie abgenommen, sonst würden die Lager nicht so sauber werden. Außerdem könnte es sein, dass die Reinigungslösung nicht wieder vollständig ausgespült wird). Dann wird die Unruhe mit Ihrer Spirale auf dem Kloben festgestiftet und samt Kloben eingebaut.
Jetzt wird das Uhrwerk einer weiteren Prüfung unterzogen. Das Herz (die Unruhe) ist eingebaut und somit kann das Uhrwerk und der Gang der Uhr schon einmal gründlich geprüft werden. Nach dem Aufsetzen des Zifferblattes und der Zeiger wird das Uhrwerk eingeschalt, das heißt ins Gehäuse eingebaut.
Ein paar Tage wird die Uhr noch beobachtet, um ganz sicher zu gehen, dass alles in Ordnung ist und dann darf die Taschenuhr wieder zurück zum Eigentümer und wird ihn wieder viele Jahre mit einem munteren Ticken und genauer Zeitangabe erfreuen.
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