Januar 1982
Irgendwie muss doch jeder Uhrmacher den Wunsch haben, eine Uhr selbst zu bauen. Mir ging es jedenfalls so und meine Mitarbeiter waren ebenfalls sofort begeistert.
Aber von der Idee bis zur Verwirklichung war noch ein langer Weg. Natürlich sollte es keine „normale“ Uhr werden welche nur die Zeit anzeigt. Es folgten Monate des Nachdenkens und Überlegens. Mit der Zeit kristallisierte sich heraus, dass wir uns mit einem Regulatorwerk am besten verwirklichen konnten.
Darauf hin beschäftigten wir uns intensiv mit dem notwendigen Material und Werkzeug für den Bau des Uhrwerkes. Wir beschlossen, den Großuhr-Eingriffszirkel und die unentbehrliche Teilerscheibe selbst anzufertigen. Damit konnten wir gleich die ersten Erfahrungen sammeln und zudem Geld sparen.
In Garmisch-Partenkirchen besuchte ich einmal ein Seminar über antike Uhren. Seitdem fasziniert mich die Technik eines „Ewigen Kalenders*“ .
Den Kalendermechanismus steuern Räder und Formscheiben. Eine davon braucht ganze 4 Jahre, um sich einmal um ihre eigene Achse zu drehen. Diese Formscheiben programmieren sozusagen den Kalendermechanismus und sorgen dafür, dass der Kalenderzeiger auch bei kürzeren Monaten das Datum richtig anzeigt.
Ich nahm also ein Blatt Papier zur Hand und fing an zu planen. Es blieb natürlich nicht bei einem Blatt, aber ich fand Lösungen.
Die nächste Aufgabe war die Sonnenzeit. Da die Erde nicht auf einer Kreisbahn um die Sonne zieht und sie sich dabei auch noch unterschiedlich schnell bewegt, stimmt die wahre Sonnenzeit nicht immer mit unserer Zeitangabe überein.
Ich wollte, dass auf einem kleinen Hilfs-Zifferblatt die aktuelle Sonnenzeit in Stunden und Minuten angezeigt werden. Die Zeitangabe des „Sonnen-Zifferblattes“ muss während einer bestimmten Zeit des Jahres hinter der Normalzeit zurückbleiben, um später wieder aufzuholen, ja sogar zu überholen. Der Unterschied zwischen Normalzeit und Sonnenzeit kann bis zu 16 Minuten ausmachen. Nur viermal im Jahr stimmen Sonnenzeit und Mittlere Zeit genau überein. Um die Anzeige der Sonnenzeit mechanisch bewerkstelligen zu können wurde ein Differentialgetriebe konstruiert welches mittels einer Formscheibe (auch Nierenscheibe genannt) gesteuert wird.
Sehr viel mehr Zeit als zuerst vermutet nahm das Zifferblatt in Anspruch. Die Graviermaschine wurde eigens umgebaut, um das 25 x 25 cm große Zifferblatt aufzunehmen. Auch das Fräsen der 2 mm breiten Zahlen war sehr aufwändig. Es musste mit einer bestimmten Geschwindigkeit und in mehreren Stufen gefräst werden. Abschließend erhielt das ganze Blatt einen sauberen Längsschliff, der Ziffernring einen Rundschliff. Die vier kleinen Zifferblätter sind aufgesetzt.
Die kleinen Hilfszifferblätter zeigen folgendes an: Kleines Zifferblatt oben: Anzeige der Sekunden Anzeige des Wochetages Kleines Zifferblatt links: Anzeige der wahren Sonnenzeit Äquation = Zeitgleichung Kleines Zifferblatt rechts: Anzeige des Datums (Ewiger Kalender*) Anzeige der Mondphase Kleines Zifferblatt unten: Anzeige des Monats Anzeige des Tierkreises Anzeige des Schaltjahres
Für den Himmel auf dem Mondphasenzifferblatt verwendeten wir blauen Tauchlack für Glühlampen. Dies ergab eine sehr schöne und tief wirkende Färbung. In den Himmel setzten wir noch unser charakteristisches Sternbild des Großen Wagens. Für das „Mondgesicht“ musste mein Gesicht herhalten, welches auf fotografischem Weg in zwei kleine Messingscheiben geätzt wurde. Auch die Platinen des Uhrwerkes wurden durch Ätzen verschönert.
Eine kleine Raffinesse fiel mir auch bei der Konstruktion des Kompensationspendels ein.
Ein Kompensationspendel ist ein Uhrpendel, welcher bei Temperaturschwankungen seine eigene Wärme-Ausdehnung kompensiert und damit ein wesentlich präziseres Gangergebnis erzeugt. Um mit weniger Stäben als üblich auszukommen, nahm ich das Hebelgesetz zu Hilfe. So wurde die sonst übliche Zahl der Kompensations- Stäbe verringert und zudem konnten ganz normale Messing- und Stahllegierungen verwendet werden. Natürlich müssen die Längen der Stäbe genau aufeinander abgestimmt und berechnet sein.
Für die Pendellinse trieb ich aus Messingblech 2 Halbschalen. Diese wurden anschließend miteinander verlötet und mit Blei gefüllt, bis die Linse alleine 1 Kilogramm wog.
Die Funktionsweise der Kompensation
Für das Gehäuse wählten wir die Form einer Wiener Laterndluhr. Um das Sekundenpendel aufzunehmen, musste das Gehäuse 1,50 m lang werden. Durch die zierliche Bauweise, das helle Eichenholz und viel Glas wirkt es aber nicht plump, sondern filigran und leicht. Das Zifferblatt informiert den Betrachter über die genaue Uhrzeit mit Sekundenanzeige, das Datum mit Wochentag, Monat, Sternzeichen und Schaltjahr, Mondphase und Sonnenzeit.
Bis zur Fertigstellung waren vier Jahre vergangen, in denen viele Stunden und Freizeit geopfert wurden. Aber wir haben uns dadurch bewiesen, dass wir richtige Uhrmacher sind und eine Uhr vollständig selbst bauen können. Alle 448 Räder, Hebel und anderen Teile wurden in der eigenen Werkstatt präzise berechnet und hergestellt. Dazu waren 1200 Stunden Arbeit nötig. Die Triebe wurden aus Spezial-Stahl gefräst und selbstverständlich gehärtet, die Schrauben wurden gebläut. Auch die Zeiger, welche wir selbst aus Stahlblech geschnitten haben, erhielten eine tiefblaue Anlassfarbe. Die Gewichte fertigten wir aus Messingrohr das mit Blei gefüllt wurde. Den Deckel und den Boden der Gewichte bilden aus massiven Messingblöcken gedrehte Kappen. Sogar die Seilrolle und die Gewichtshaken wurden handgearbeitet.
Im Juni 1986 war das Werk vollendet und wurde der Öffentlichkeit vorgestellt. Ein paar Jahre lang wurde der selbstgebaute Regulator im Verkaufsraum ausgestellt und von vielen Kunden und Besuchern bewundert. Im August 1987 erschien ein ausführlicher Artikel in “Alte Uhren” (heute “Klassik Uhren”) mit einer Beschreibung der Funktionsweise.
Nochmals kurz die Daten: Die Uhr besteht aus 448 Einzelteilen, die in 34 Funktionseinheiten zusammengefasst sind. Dazu waren 197 Zeichnungen und Skizzen nötig. Von der Idee bis zur Verwirklichung vergingen 3½ Jahre, die Bauzeit selber betrug 26 Monate, die Arbeitszeit 1200 Stunden. Einige Werkzeuge für die Herstellung der Uhr mußten speziell angefertigt werden.
* Ewiger Kalender:
Das heißt der Kalender berücksichtigt mit Hilfe von einem komplizierten Mechanismus die unterschiedlichen Monatslängen bis hin zu den Schaltjahren. Bekanntlich hat ja der Februar alle 4 Jahre 29, ansonsten 28 Tage. Unser Ewiger Kalender berücksichtigt auch diese Schaltjahre und muss erstmals am 28. Februar 2100 um einen Tag korrigiert werden.
Dazu muss man wissen, dass alle 100 Jahre das Schaltjahr ausfällt, alle 400 Jahre aber doch wieder nicht!
Zu kompliziert? Also die Jahre 1700, 1800 und 1900 waren keine Schaltjahre, obwohl sich deren Jahreszahl durch 4 teilen ließ. Die Jahre 1600 und das Jahr 2000 sind dagegen ganz normale Schaltjahre!
Genaugenommen ist also ein „Ewiger Kalender“ nicht ewig, sondern ein „Hundertjähriger Kalender“ aber es dauert eine kleine Ewigkeit, bis er einmal um nur einen Tag korrigiert werden muss.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.